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Insolvenzanfechtung: Bundesgerichtshof rudert weiter zurück

Insolvenzanfechtung: Bundesgerichtshof rudert weiter zurück

Berlin, 05.02.2024

Neues BGH-Urteil zur Vorsatzanfechtung § 133 Abs. 1 InsO

Nachdem der Bundesgerichtshof (BGH) bereits in seinen Entscheidungen vom 3. März 2022 (IX ZR 78/20) und vom 23. Juni 2022 (IX ZR 75/21) sich mit der gesetzlichen Tatsachenvermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO befasst hatte, greift er diesen Gesichtspunkt in einer erst jetzt im Januar 2024 veröffentlichten Entscheidung vom 26. Oktober 2023 (IX ZR 112/22) erneut auf.

Damit bestätigt sich die seinerzeit von PASCHEN veröffentlichte Einschätzung, wonach der Bundesgerichtshof dem Vermutungstatbestand des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO wieder mehr Bedeutung verschaffen möchte. Es darf davon ausgegangen werden, dass die aufeinanderfolgenden Wechsel im Vorsitz des für die Insolvenzanfechtung zuständigen IX. Zivilsenats in den letzten drei Jahren für diese Rechtsprechungsänderung zum Nachteil der Anfechtungsgegner verantwortlich zeichnen.

Kenntnis des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes

Nach der Regelung im § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO wird beim Anfechtungsgegner Kenntnis des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes des Insolvenzschuldners vermutet, wenn er wusste, dass beim Insolvenzschuldner Zahlungsunfähigkeit vorliegt. Auf die Kenntnis der drohenden Zahlungsunfähigkeit kann hingegen nur noch in den Fällen abgestellt werden, in denen der Anfechtungsgegner keine direkte Gegenleistung für die angefochtene Rechtshandlung erbracht hat. In diesem Punkt hat die Reform des Anfechtungsrechts vom 5. April 2017 die Rechtsposition von Lieferanten und Dienstleistern erfreulicherweise etwas verbessert.

Viele Gläubiger waren nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 6. Mai 2021 (IX ZR 72/20) davon ausgegangen, dass der Anwendungsbereich der gesetzlichen Vermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO jetzt nur noch auf Ausnahmefälle beschränkt sei.

Die beiden Entscheidungen vom 3. März 2022 und vom 23. Juni 2022 hatten zwar für diejenigen Gläubiger, die Zahlungen aufgrund eines schlüssigen Sanierungskonzeptes erhalten haben, etwas mehr Rechtssicherheit gebracht, gleichzeitig aber bereits deutlich betont, dass der Anwendungsbereich des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO nicht eingeschränkt werden sollte.

Eckpunkte der BGH Entscheidung IX ZR 112/22

Nun befasste sich der Bundesgerichtshof in der jetzt veröffentlichten Entscheidung vom 26. Oktober 2023 nochmals ausführlich mit der Reichweite der Vermutungsregelung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO.

Die Eckpunkte dieser Entscheidung sind eindeutig: kennt der Anfechtungsgegner die Zahlungsunfähigkeit des späteren Insolvenzschuldners, streitet die Tatsachenvermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO für den anfechtenden Insolvenzverwalter, d.h. er hat den Nachweis geführt, dass der Anfechtungsgegner den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners kannte.

Dieser muss nun seinerseits die gesetzliche Vermutung widerlegen und den Vollbeweis dafür führen, dass er den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Insolvenzschuldners nicht kannte. Hierzu muss er zu Überzeugung des Gerichtes darlegen, dass er trotz erkannter Zahlungsunfähigkeit davon ausgehen durfte, dass der Schuldner in der dafür zur Verfügung stehenden Zeit seine übrigen bereits vorhandenen und absehbar hinzutretenden Gläubiger wird vollständig befriedigen können. Allein dies stellt schon für einen außenstehenden Gläubiger, der die wirtschaftliche Situation seines Schuldners erfahrungsgemäß nicht kennt, extrem hohe Hürden auf.

Der Bundesgerichtshof hat aber noch eine weitere Hürde hinzugefügt, die kaum noch zu nehmen sein dürfte: der Anfechtungsgegner darf diese Prognose nur auf einer hinreichend verlässlichen Beurteilungsgrundlage anstellen. D. h. mit anderen Worten, er darf nicht vagen Auskünften des Schuldners vertrauen, auch eine bloße Hoffnung, dass die übrigen Gläubiger auch befriedigt werden, lässt der BGH nicht ausreichen. Verlangt wird vielmehr eine ausreichend verlässliche Beurteilungsgrundlage; wann diese gegeben ist, überlässt der Bundesgerichtshof erst einmal den Instanzgerichten. Im Ergebnis bedeutet dies, dass – wenn erst einmal der Vermutungstatbestand des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO zugunsten des Insolvenzverwalters eingreift – es dem Anfechtungsgegner nur noch in Ausnahmefällen gelingen wird, diese Vermutung zu widerlegen, beispielsweise wenn ein belastbares Sanierungskonzept vorliegt (zu dessen Anforderungen: vergleiche BGH, Urteile vom 3. März 2022 – IX ZR 78/20 und vom 23. Juni 2022  IX ZR 75/21).

Fazit

Ob in solchen Fällen die zugunsten des Anfechtungsgegners in § 133 Abs. 3 Satz 2 InsO aufgestellte Vermutung eingreift, dass der Anfechtungsgegner bei Abschluss einer Zahlungsvereinbarung oder Gewährung einer Zahlungserleichterung die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht kannte, hat der BGH bislang nicht entschieden. Ebenso lässt der Bundesgerichtshof offen, welchen Zeitraum er mit der Formulierung „in der zur Verfügung stehenden Zeit“ bis zur vollständigen Befriedigung aller Gläubiger zu Grunde legen will. Die Rechtsunsicherheit für Gläubiger wird damit wieder deutlich größer.

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Earn Jahrestagung Granada 2023

Earn Jahrestagung Granada 2023

Granada, 01.11.2023

Die spanische EU-Ratspräsidentschaft 2023 hat Granada aufgrund ihrer Geschichte, ihrer zentralen Lage und ihrer Zukunft als idealen Ort ausgewählt, um die Werte der Europäischen Union weiter voranzubringen und das Treffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft und das informelle Treffen der Staats- und Regierungschefs am 5. / 6. Oktober 2023 auszurichten. Der Ort für unser EARN Meeting 2023 vom 19. bis 21. Oktober 2023 hätte also nicht besser gewählt werden können.

Die spanische EU-Ratspräsidentschaft 2023 hat Granada aufgrund ihrer Geschichte, ihrer zentralen Lage und ihrer Zukunft als idealen Ort ausgewählt, um die Werte der Europäischen Union weiter voranzubringen und das Treffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft und das informelle Treffen der Staats- und Regierungschefs am 5. / 6. Oktober 2023 auszurichten. Der Ort für unser EARN Meeting 2023 vom 19. bis 21. Oktober 2023 hätte also nicht besser gewählt werden können.

Die spanische Partnerkanzlei Medina Cuadros Abogados konnte auch die EARN Netzwerkmitglieder quasi vollzählig in ihren Räumen in der wunderschönen Altstadt willkommen heißen. Die anschließende Tagung im historischen Carmen de la Victoria der renommierten Universität zu Granada wurde von Professor Klaus Jochen Albiez Dohrmann, Abteilung Zivilrecht der Universität Granada mit einem interessanten Vortrag zur kollektiven Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in Spanien eröffnet. Anschließend wurde rege diskutiert und länderspezifische Regelungen der Partnerländer gegenübergestellt. Wie bereits in den letzten Jahren stellten alle Teilnehmer wieder Neues aus Rechtsprechung und Gesetzgebung, aber auch zu den Entwicklungen des elektronischen Rechtsverkehrs in den Mitgliedsländern vor. Fazit der elektronische Rechtsverkehr ist zwischenzeitlich mehrheitlich erfolgreich implementiert.

Das fantastische Rahmenprogramm mit den Highlights der Stadt und kulinarischen Leckerbissen perfekt organisiert von Luis Sánchez Pérez wurden von allen Teilnehmenden ausgesprochen gelobt und wertgeschätzt. Der persönliche intensive Austausch in Granada hat die engen Beziehungen zwischen den Teilnehmer weiter gestärkt und die Vorfreude auf das nächste EARN Jahrestreffen im Herbst 2024 in Amsterdam ist groß.

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EARN-Meeting in Wien

EARN-Meeting in Wien

Wien, 31.10.2022

Nach Corona- bedingter 2-Jähriger Pause fand die EARN European Accounts Receivable Jahrestagung 2022 am vergangenen Wochenende wieder live statt. Die österreichische Partnerkanzlei hba Held Berdnik Astner & Partner Rechtsanwälte GmbH hieß zahlreiche Netzwerkmitglieder in ihrem zentral gelegenen Wiener Büro mit Blick auf die imposante Votivkirche willkommen.

Ein thematischer Schwerpunkt des zweitägigen Treffens waren insbesondere die länderspezifischen Regelungen zur Umsetzung der EU Richtlinien über „bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte“ und über „bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Warenkaufs“ sowie der EU-Restrukturierungsrichtlinie.

Als weitere Themen standen aktuelle Gerichtsentscheidungen zu grenzüberschreitenden Fällen und „das ökonomische Potential und rechtliche Herausforderungen des Einsatzes Künstlicher Intelligenz (AI) im Rechtssystem“ sowie die Fortentwicklung des European Business Codes auf dem Programm.

Allgemein stellten die Teilnehmer fest, dass sich die Zusammenarbeit der Netzwerkpartner erfreulich erfolgreich entwickelt hat und waren sich einig, dass der regelmäßige persönliche Austausch von besonderem Wert für die grenzüberschreitenden Fallbearbeitung ist. Die Vorbereitungen für das nächste EARN-Jahrestreffen 2023 haben daher schon begonnen.

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Eingeschränkter Vollstreckungsschutz gegen EU Vollstreckungstitel

Eingeschränkter Vollstreckungsschutz gegen EU Vollstreckungstitel

Berlin, 10.10.2022

Bereits im Jahre 2004 wurde mit der Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.04.2004 zur Einführung eines Europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen (EuVTVO) die Möglichkeit einer vereinfachten Vollstreckung aus Titeln von Gerichten eines anderen EU- Mitgliedsstaats geschaffen, wenn die zugrundeliegenden Forderungen nicht bestritten sind.

Wie der BGH in einer Entscheidung im Juli dieses Jahres (BGH Beschluss vom 7. Juli 2022 – IX ZB 38/21), bei der es um unbezahlte Honorare einer österreichischen Anwaltskanzlei ging, entschieden hat, sind bei der Vollstreckung aus derartigen Titeln die Rechtsschutzmöglichkeiten eingeschränkt, da die betroffenen Schuldner eines wegen der Voraussetzung, dass die zugrundliegenden Ansprüche unbestritten geblieben sind, eines geringeren Schutzes bedürfen. Zulässig sind danach lediglich die in der EuVTVO selbst genannten Rechtsmittel, wie etwa die Möglichkeit im Ursprungsstaat eine Berichtigung des Titels zu beantragen, und die (nationalen) Rechtsschutzmöglichkeiten im Vollstreckungsstaat, sofern es nicht entsprechende spezieller Regelungen in der EuVTVO gibt.

Eine Berufung auf Vollstreckungshindernisse nach der für streitige Entscheidungen geltenden EuGVVO (Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen) ist daher – so der BGH – bereits unzulässig. Der BGH zeigt damit Schuldnern, die auf Zeit spielen, die rote Karte. Für Gläubiger, die in diesen Fällen zurecht eine zügige Vollstreckung fordern, eine gute Nachricht.

Autor: Rechtsanwalt Lutz Paschen, PASCHEN Rechtsanwälte PartGmbB

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Elektronisches Unterzeichnen in den Niederlanden

Elektronisches Unterzeichnen in den Niederlanden

Amsterdam/Enschede, 27.06.2022

Die elektronische Signatur spielt beim Unterzeichnen von Verträgen und anderen Dokumenten eine immer wichtigere Rolle. Die europäische Richtlinie wurde auch in den Niederlanden umgesetzt. In diesem Artikel wird erklärt, welche Rolle sie einnimmt und was in Bezug auf elektronische Signaturen in den Niederlanden empfohlen wird.

Dabei geht es auch um die Frage, ob eine elektronische Signatur in den Niederlanden das „Erfordernis der Schriftlichkeit“ erfüllt und inwieweit es in den Niederlanden möglich ist, elektronisch zu unterschreiben.

Verordnungen
Auf europäischer Ebene sind die Regeln für elektronische Signaturen in der eIDAS-Verordnung festgelegt. In Artikel 3 der Verordnung werden drei Arten von Unterschriften unterschieden:

1)    Elektronische Signatur: Daten in elektronischer Form, die an andere Daten in elektronischer Form angehängt oder mit diesen logisch verknüpft sind und vom Unterzeichner zum Unterschreiben verwendet werden (Teil 10); zum Beispiel

i)    Scan einer Papierunterschrift

ii)   die (maschinengeschriebene) Unterschrift am Ende einer E-Mail.

2)    Fortgeschrittene elektronische Signatur: erfüllt die folgenden Anforderungen (Artikel 3 Teil 11 und Artikel 26 der eIDAS-Verordnung):

a)   Sie ist eindeutig mit dem Unterzeichner verbunden;

b)   Sie ermöglicht die Identifizierung des Unterzeichners;

c)   Sie wird unter Verwendung von elektronischen Signaturerstellungsdaten erstellt, die der Unterzeichner unter seiner alleinigen Kontrolle mit einem hohen Maß an Vertrauen verwenden kann; und

d)   Sie ist mit den mit ihr signierten Daten so verknüpft, dass jede nachträgliche Änderung der Daten erkannt werden kann.

3)    Qualifizierte elektronische Signatur: eine fortgeschrittene elektronische Signatur, die

e)   von einer qualifizierten Signaturerstellungseinheit erstellt wird und

f)    auf einem qualifizierten elektronischen Signaturzertifikat beruht;


Das qualifizierte Zertifikat muss darüber hinaus von einem qualifizierten Vertrauens Diensteanbieter ausgestellt werden, der die Anforderungen von Anhang I der eIDAS-Verordnung (Artikel 3 Teil 15 der eIDAS-Verordnung) erfüllt.


Die eIDAS-Verordnung schreibt nur Rechtswirkung für die qualifizierte elektronische Signatur vor. Für die anderen elektronischen Signaturen ist Folgendes vorgesehen: „Die Rechtswirkung einer elektronischen Signatur und ihre Zulässigkeit als Beweismittel in Gerichtsverfahren dürfen nicht allein mit der Begründung verweigert werden, dass es sich um eine elektronische Signatur handelt oder dass sie nicht die Anforderungen an qualifizierte elektronische Signaturen erfüllt.“


Das bedeutet, dass die qualifizierte elektronische Signatur in jedem Mitgliedstaat die gleiche Wirkung hat: Sie hat die gleiche Rechtswirkung wie eine handschriftliche Unterschrift.  Bei den anderen elektronischen Signaturen ist die Gesetzgebung von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich.


Niederländische Vorschriften


In Artikel 3:15a BW (niederländisches BGB) sind die Rechtsfolgen der einfachen und fortgeschrittenen elektronischen Signatur wie folgt geregelt: „Eine fortgeschrittene elektronische Signatur (Teil 11) und eine weitere elektronische Signatur (Teil 10) haben die gleichen Rechtswirkungen wie eine handschriftliche Unterschrift, wenn für diese beiden elektronischen Signaturen die verwendete Unterzeichnungsmethode unter Berücksichtigung des Zwecks, für den die elektronische Signatur verwendet wird, und aller anderen Umstände des Falles hinreichend zuverlässig ist.“


In dem Artikel wird nicht präzisiert, wann eine ausreichend zuverlässige elektronische Signatur vorliegt. Es gibt eine offene Norm, die es schwierig macht, allgemein anzugeben, wann die Anforderungen in Artikel 3:15a BW erfüllt sind. Es wird davon ausgegangen, dass bei einer einfachen Transaktion eine gewöhnliche elektronische Signatur in der Regel ausreicht, während bei einer komplexeren Transaktion, die mehr Zuverlässigkeit und Sicherheit erfordert, eine fortgeschrittene elektronische Signatur erforderlich ist.


Bei der Entscheidung, ob eine Transaktion einfach oder komplex ist, spielen der wirtschaftliche Wert und die Art der Transaktion eine Rolle.  Die elektronische Signatur muss in dem Maße, wie die Bedeutung des Rechtsakts zunimmt, durch weitere Schutzmechanismen ergänzt werden.


Die Parteien können selbst bestimmen, welche Art der elektronischen Signatur sie für welchen Rechtsakt für wünschenswert halten. In den meisten Fällen werden die Parteien ihre Wahl aus Beweisgründen in ihrem Vertragsverhältnis festhalten. Haben die Parteien keine solche Wahl getroffen, prüft das Gericht im Streitfall, ob die tatsächlich verwendete Unterschrift unter Berücksichtigung der Art der Transaktion und aller anderen Umstände des Falles ausreichend zuverlässig ist.


Beweis
Wird eine qualifizierte elektronische Signatur verwendet, hat sie die gleiche Rechtswirkung wie eine handschriftliche Unterschrift (Artikel 25 Absatz 2 der eIDAS-Verordnung). Das bedeutet, dass sie verbindliche Beweiskraft hat (Artikel 156 in Verbindung mit Artikel 156a und 157 (2) Rv). Die Parteien können Vereinbarungen über den Zuverlässigkeitsgrad fortgeschrittener und anderer elektronischer Signaturen treffen. Dies ist bei der qualifizierten elektronischen Signatur nicht möglich, da die Verordnung dies vorsieht.  Diese Parteivereinbarung ist ein Umstand, der bei der Beurteilung der Zuverlässigkeit der für die Unterzeichnung verwendeten Methode berücksichtigt wird. Im Streitfall prüft der Richter anhand der in Artikel 3:15a BW genannten Kriterien.


Stellt der Richter fest, dass die gewöhnliche oder fortgeschrittene elektronische Signatur hinreichend zuverlässig ist, hat dieses Dokument gemäß Artikel 3:15a BW in Verbindung mit Artikel 156a BW in Verbindung mit Artikel 157 Absatz 2 BW verbindliche Beweiskraft. Entscheidet der Richter, dass eine elektronische Signatur nicht ausreichend zuverlässig ist, hat das elektronische Dokument nur eine freie Beweiskraft (Artikel 152 Rv). Es gibt noch wenig Rechtsprechung zu diesen Themen.


Verwendung von elektronischen Signaturen in den Niederlanden

Qualifizierte elektronische Signatur: Diese Aktion wird von einem qualifizierten Zertifikat begleitet. Ein solches Zertifikat ist Teil eines digitalen Codes, den der Absender seiner Nachricht hinzufügt. Es gibt spezielle Organisationen, die Zertifikate ausstellen, den Zertifizierungsdienst. Public Key Infrastructure (PKI) Die Regierung stellt das Zertifikat aus, das die niederländische Regierung verwendet. Die niederländische Agentur für Funkkommunikation überwacht die Bereitstellung von Zertifizierungsdiensten. Im Internet sind verschiedene Anbieter zu finden, bei denen diese Dienstleistung erworben werden kann (DocuSign, Adobe).

Fortgeschrittene elektronische Signatur (AES): Auf der Website der Regierung wird diese Option nicht erwähnt. In der eIDAS-verordening wird dies zwar erwähnt, aber nicht weiter erläutert.

Andere elektronische Signaturen: Dies ist im Allgemeinen nicht empfehlenswert für Geschäftsvorgänge von erheblichem Wert.


Schlussfolgerung
Eine qualifizierte elektronische Signatur hat die gleichen rechtlichen Folgen wie eine „normale“ Unterschrift. Dies bedeutet, dass das unterzeichnete Dokument eine verbindliche Beweiskraft hat. Ein mit einer fortgeschrittenen oder anderen elektronischen Signatur unterzeichnetes Dokument hat nur dann eine verbindliche Beweiskraft, wenn das Gericht die Unterzeichnungsmethode im Hinblick auf die Art und den Wert des Geschäfts als hinreichend zuverlässig ansieht. Hält der Richter die Art der Unterzeichnung für nicht hinreichend zuverlässig, findet Artikel 3:15a BW keine Anwendung und das Dokument hat freie Beweiskraft. Es sei darauf hingewiesen, dass das Gericht, wenn es die Unterschriftsmethode nicht als zuverlässig ansieht, höchstwahrscheinlich auch keine große Beweiskraft zuerkennen wird.

Autorin: Advocaat Irith Hofmann, Damste Advocaten, Niederlande

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Bestimmungen über die aktorische Kaution auf britische Kläger nicht anwendbar

Bestimmungen über die aktorische Kaution auf britische Kläger nicht anwendbar

Wien, 09.06.2022

Der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union warf zahlreiche Unsicherheiten zur bilateralen Rechtsvollstreckung auf. So musste sich der Östereichische Oberste Gerichtshof vor kurzem mit dem Thema aktorische Kaution beschäftigen (23.03.2022, 4 Ob 30/22y).

Die aktorische Kaution (§57 öZPO) bezweckt, einen inländischen Beklagten davor zu schützen, von einem ausländischen Kläger, der ihn erfolglos in Anspruch genommen hat, keinen Prozesskostenersatz zu erlangen; als Prozesskostensicherheit soll die aktorische Kaution damit insgesamt vor missbräuchlicher oder kostenverursachender Rechtsanmaßung durch ausländische Kläger schützen.

Der Oberste Gerichtshof entschied am 23.03.2022 (Geschäftszahl 4 Ob 30/22y), dass ein britischer Kläger einem österreichischen Beklagten keine aktorische Kaution leisten muss. Der Oberste Gerichtshof begründet die Entscheidung mit der durch die Ratifizierung des Haager Übereinkommens über Gerichtsstandsvereinbarungen in Zivil- und Handelssachen (HGÜ) durch das Vereinigte Königreich am 28.09.2021 vereinbarten Vollstreckungspflicht zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich. Aufgrund dieser vertraglichen Vereinbarung sei das Argument der beklagten Partei, die fehlende Vollstreckungspraxis von österreichischen Titeln im Vereinigten Königreich würde signifikante Unsicherheiten für österreichische Vertragspartner aufwerfen, nicht stichhaltig.

Diese Entscheidung ist Teil eines wachsenden Körpers von post-Brexit Rechtsprechungen in der Europäischen Union. Nachdem ein harter Brexit im letzten Moment durch ein Handelsabkommen mit der EU vermieden werden konnte, erklärte Premierminister Boris Johnson, die hinterbliebenen Ein-flüsse der EU auf die Normenhierarchie zugunsten britischer Unternehmen anpassen zu wollen. Somit ist davon auszugehen, dass EU Unternehmen auch in Zukunft vermehrt mit rechtlichen Unsicherheiten konfrontiert sind.

Autor: Mag. Kristina Steflitsch / Mag. Johannes Zink, hba Rechtsanwälte Wien, Österreich

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EARN erweitert seine Reichweite

EARN erweitert seine Reichweite

Berlin/Brüssel, 17.11.2021

Das EARN European Accounts Receivables Netzwerk hat mit DEWISPELAERE ADVOCATEN, Belgien einen weiteren erfahrenen Partner in der Mitte Europas gewonnen.

DEWISPELAERE ADVOCATEN ist eine unabhängige Anwaltskanzlei mit Sitz in Brüssel (Strombeek-Bever). Bereits 1975 gegründet ist DEWISPELAERE heute insbesondere auf Unternehmens-, Vertrags- und Finanzrecht auch mit grenzüberschreitenden Aspekten spezialisiert. Darüber hinaus verfügen sie über besondere Expertise im Credit Management und ergänzen damit perfekt das EARN Portfolio um einen sehr erfahrenen Partner in Belgien.

Die aktuellen EARN-Mitglieder können Sie hier einsehen.

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EuGH: Insolvenzanfechtung bei grenzüberschreitenden Geschäften

Insolvenzanfechtung: Bundesgerichtshof rudert weiter zurück

Berlin, 28.07.2021

Bekanntermaßen ist es für den Insolvenzverwalter bei in Deutschland durchgeführten Insolvenzverfahren besonders leicht, Gläubiger erfolgreich im Wege der Insolvenzanfechtung in Anspruch zu nehmen. Grundlage hierfür ist die ausgesprochen insolvenzverwalterfreundliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der mit einer Vielzahl von Beweiserleichterungen dem Insolvenzverwalter die Durchsetzung von Anfechtungsansprüchen in besonderem Maße den Weg ebnet.

Für ausländische Gläubiger mit Sitz in einem EU-Mitgliedsstaat gibt es nun einen Rettungsanker, wie der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 22. April 2021 (Aktenzeichen C-73/20 – Oeltrans Befrachtungsgesellschaft) im Zusammenhang mit der Insolvenzanfechtung gegenüber einem niederländischen Binnenschiffer entschieden hat. Dieser hatte kurz vor Insolvenz seines Auftraggebers, einer Reederei, noch Zahlungen für durchgeführte Transporte erhalten, auf deren Rückzahlung er durch den Insolvenzverwalter der Reederei in Anspruch genommen wurde. Art. 13 der Verordnung (EG)  Nr. 1346/2000  des Rates vom 29. Mai 2000 (nun wortgleich Art. 16 EuInsVO) eröffnet einem ausländischen Anfechtungsgegner die Verteidigungsmöglichkeit, sich aus Gründen des Vertrauensschutzes auf das Insolvenzanfechtungsrecht seines Heimatlandes zu berufen, wenn dort die Anfechtungsvoraussetzungen strenger sind als dies im Land des anfechtenden Insolvenzverwalters der Fall ist. Besonders gut funktioniert diese Verteidigungsmöglichkeit beispielsweise bei österreichischen Anfechtungsgegnern, weil in Österreich Anfechtungsklagen innerhalb eines Jahres nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erhoben werden müssen. Häufig hat der Insolvenzverwalter in diesem Zeitraum noch nicht einmal die Anfechtungssachverhalte ermittelt.

Der niederländische Binnenschiffer verteidigte sich nun damit, dass nach niederländischem Recht die angefochtene Zahlung nicht anfechtbar sei. Der Insolvenzverwalter hingegen wandte ein, dass zwar für den durchgeführten Transport niederländisches Recht, für die Zahlung des deutschen Insolvenzschuldners aber deutsches Recht anzuwenden sei. Der EuGH hatte nun auf Vorlage des BGH entschieden, dass das auf den Transportvertrag anzuwendende niederländischem Recht auch für die Zahlung heranzuziehen sei. Dies bedeutet, dass das deutsche Gericht nun darüber befinden muss, ob die angefochtene Zahlung nach niederländischem Recht ebenfalls der Insolvenzanfechtung unterliegt. Die Chancen für den niederländischen Binnenschiffer stehen hier sehr gut.

Die EuGH-Entscheidung eröffnet für Unternehmen mit ausländischen Konzerngesellschaften die Möglichkeit, bei Geschäftspartnern mit unsicherem Zahlungsverhalten künftig die Belieferung oder Leistungserbringung von solchen Konzerngesellschaften durchführen zu lassen, an deren Sitz das Insolvenzanfechtungsrecht für Gläubiger günstiger ist. Wichtig ist in diesem Fall natürlich, die Verträge so auszugestalten, dass für das Vertragsverhältnis tatsächlich die Rechtsordnung der ausländischen Konzerngesellschaft vereinbart wird, die die Leistungen erbringt und die potenziell anfechtbaren Zahlungen erhält. Ferner muss natürlich auch geprüft werden, ob das Insolvenzanfechtungsrecht in dem betreffenden Staat tatsächlich für den Gläubiger günstiger ist. Dies ist aber – wie eingangs ausgeführt – in fast allen Mitgliedstaaten der EU der Fall. Nach § 339 Insolvenzordnung lässt sich dieser Rechtsgedanke vermutlich auch auf andere ausländische Gesellschaften mit Sitz außerhalb der EU anwenden.

Autor: RA Michael Schmidt, PASCHEN Rechtsanwälte

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Mehrwertsteuer: Neue EU E-Commerce-Vorschriften vereinheitlichen Mehrwertsteuerregelungen für mehr Verbraucherfreundlichkeit und faireren Wettbewerb

Mehrwertsteuer: Neue EU E-Commerce-Vorschriften vereinheitlichen Mehrwertsteuerregelungen für mehr Verbraucherfreundlichkeit und faireren Wettbewerb

Brüssel, 09.07.2021

Seit dem 1. Juli 2021 wurde die Gestaltung der Mehrwertsteuer für Online-Verkäufe grenzüberschreitend erneuert – sowohl innerhalb der EU, als auch außerhalb der EU. Die neuen Vorschriften betreffen Online-Verkäufer und -Marktplätze/Plattformen, genauso wie Postbetreiber, Kurierdienste, Zoll- und Steuerbehörden und Verbraucher/innen.

Diese wichtigsten Änderungen gelten seit dem 1. Juli 2021:

  • Ende der Mehrwertsteuerbefreiung bei der Einfuhr: Mit Einführung der neuen Mehrwertsteuerbestimmungen unterliegen alle in die EU eingeführten Waren und Dienstleistungen nun der Mehrwertsteuer. 
  • Neue EU-weite Schwellenwerte: Es gilt ein EU-weiter Schwellenwert für den Fernverkauf von 10 000 EUR als Mindestumsatz. Ab diesem Schwellenwert ist die Mehrwertsteuer in dem Mitgliedstaat zu entrichten, in den die Erzeugnisse geliefert werden.
  • Vereinheitlichung der Mehrwertsteuerregistrierung: Das elektronische Portal One Stop Shop (EU-OSS) verhilft als elektronische Schnittstelle in der gesamten EU bei der Umsetzung von bis zu 95 % der Mehrwertsteuerverpflichtungen. Der One Stop Shop ermöglicht so mit einer unkomplizierten vierteljährlichen Erklärung eine Anmeldung und Abführung von Verkäufen in allen Mitgliedstaaten. Nicht-EU-Verkäufer können sich analog im Import One Stop Shop (IOSS) registrieren und den jeweiligen Mehrwertsteuerbetrag erklären, so dass dieser dem Mitgliedstaat zugeführt wird, in dem die Mehrwertsteuer letztendlich zu entrichten ist.

Die neuen Regeln sollen:

  • sicherstellen, dass die Mehrwertsteuer dort gezahlt wird, wo der Verbrauch von Waren und Dienstleistungen stattfindet;
  • eine einheitliche Mehrwertsteuerregelung für grenzüberschreitende Lieferungen und Dienstleistungen schaffen;
  • einen fairen Wettbewerb zwischen europäischen und ausländischen E-Commerce- Händlern sowie zwischen E-Commerce- und traditionellen Geschäften schaffen;
  • Unternehmen ein einfaches und einheitliches System zur Erklärung und Abführung ihrer Mehrwertsteuerverpflichtungen in der EU über die OSS/IOSS anbieten.

Ähnliche Reformen haben sich bereits in Norwegen, Australien und Neuseeland bewährt.

Erläuterungen zu den Mehrwertsteuervorschriften für den elektronischen Geschäftsverkehr und zu den Richtlinien (EU) 2017/2455 und (EU) 2019/1995 des Rates und zur Durchführungsverordnung (EU) 2019/2026 des Rates finden Sie hier: https://taxation-customs.ec.europa.eu/vat-e-commerce_de

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Französische Studie zur Effizienz europäischer Insolvenzverfahren

Französische Studie zur Effizienz europäischer Insolvenzverfahren

Paris, 22.04.2021

Im Januar 2021 hat der „Conseil National des Administrateurs Judiciaires et des Mandataires Judiciaires de France“ (Nationaler Rat französischer Justizbeamter und Justizvertreter) eine Studie über die Effizienz kollektiver Verfahren in ganz Europa durchgeführt, in der insolvenzrechtlichen Regelungen und die Effizienz von Insolvenzverfahren in Deutschland, Spanien, Italien, den Niederlanden, dem Vereinigten Königreich und Frankreich verglichen wurden.

Was Frankreich betrifft, so zeigt die Studie:

  1. Frankreich ist das einzige Land, in dem zwei Gruppen von Interessenvertretern im Insolvenzverfahren beteiligt sind. Der eine – der Verwalter – vertritt die Interessen des Schuldners, der andere – der sogenannte Agent – die Interessen der Gläubiger. Diese Berufe sind ähnlich wie in Italien reguliert.
  2. Frankreich verzeichnet aktuell 2,6-mal mehr Insolvenzverfahren als Deutschland und das Vereinigte Königreich. Im Jahr 2019 wurden 65 % der Fälle als Regelinsolvenzverfahren mit dem Ziel der Abwicklung geführt, in 25 % der Fälle hatte das Verfahren das Ziel einer Sanierung des Unternehmens mit dem Mitteln des Insolvenzrechts. Die verbleibenden 10 % entfielen bereits auf das gerade eingeführte präventive vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren.
  3. Im französischen Insolvenzrecht liegt der Fokus auf der Sicherung der Beschäftigung und die Erhaltung der Tätigkeit von Unternehmen. Folglich verfolgen auch 39 % der Unternehmen, die sich im Regelinsolvenzverfahren befinden, einen Business Continuity-Plan, der eine endgültige Liquidation vermeidet. Dieser Wert von 39 % ist mit den 8 % in den Niederlanden, 5 % in Spanien und 4,5 % in Deutschland zu vergleichen.
  4. In Frankreich genießen Ansprüche von Arbeitnehmern eine höhere Priorität als in den Vergleichsstaaten. Allerdings sehen auch alle anderen in der Studie untersuchten Länder Garantien für Ansprüche von Arbeitnehmern vor, wie das in Deutschland etablierte Insolvenzausfallgeld, bei dem die Bundesanstalt für Arbeit für bis zu drei Monate Löhne und Gehälter der beschäftigten übernimmt.

Im Jahr 2020 haben Subventionen, die die wirtschaftlichen Folgen der Covid-Krise abfedern sollen, die Zahl der Insolvenzen in Frankreich gegenüber dem Zeitraum davor sogar erheblich verringert.

Autor: Marc Olivier-Martin, ROOM AVOCATS