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Die Folgen der Coronavirus-Epidemie für die Abwicklung von Geschäftsverträgen

Paris, 04.05.2020

1)  Höhere Gewalt

Das Konzept der höheren Gewalt lässt sich auf die Umstände im Umfeld des Coronavirus anwenden.

Artikel 1218 des französischen Zivilgesetzbuches definiert höhere Gewalt in Vertragsangelegenheiten als den Fall, in dem "ein Ereignis, das sich der Kontrolle des Schuldners entzieht, das zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vernünftigerweise nicht vorhersehbar war und dessen Auswirkungen nicht durch geeignete Maßnahmen vermieden werden können, die Erfüllung seiner Verpflichtung durch den Schuldner verhindert".

In diesem Fall stellt nicht die Coronavirus-Epidemie höhere Gewalt dar, da es sich nicht um ein unvorhersehbares Ereignis handelt (die H1N1-Grippeepidemie beispielsweise wurde von den französischen Gerichten nicht als höhere Gewalt eingestuft), sondern die außergewöhnlichen Umstände, die damit einhergehen (verhängte Zwangsmaßnahmen, Schließung der Grenzen usw.).

  • Die Einstufung als höhere Gewalt setzt jedoch eine unmögliche Vertragserfüllung voraus

Das Ereignis höherer Gewalt muss überwältigend sein und die Ausführung des Vertrags unmöglich machen und nicht nur teurer oder komplizierter.

Für einige Unternehmen wird die Einführung einer neuen Arbeitsorganisation (z.B. Telearbeit) oder die Nutzung eines anderen Vertriebsweges während der Coronavirus-Epidemie sicherlich schwierig zu realisieren sein,  jedoch werden die negativen Auswirkungen der Beschränkungen dadurch vermieden und das Unternehmen kann ungehindert seinen Verpflichtungen nachkommen.

In solchen Fällen kann höhere Gewalt nicht geltend gemacht werden.

Die Auswirkungen von höherer Gewalt auf die Vertragserfüllung

Artikel 1218 des französischen Zivilgesetzbuches legt fest, dass höhere Gewalt zwei Auswirkungen haben kann:

  • Ist die Beeinträchtigung vorübergehend, wird die Erfüllung der Verpflichtung ausgesetzt, es sei denn, die Verzögerung rechtfertigt die Kündigung des Vertrags;
  • Ist die Beeinträchtigung endgültig, endet der Vertrag automatisch und die Parteien werden von ihren Verpflichtungen befreit.

Klauseln über höhere Gewalt in Verträgen

Nach französischem Recht sind Klauseln, die höhere Gewalt regeln, gültig.

So können die Parteien mittels Sonderklauseln:

  • den Begriff der höheren Gewalt genauer definieren;
  • konkrete Ereignisse auflisten, die die Parteien als höhere Gewalt definieren;
  • höhere Gewalt vollständig ausschließen;
  • die Bedingungen und Fristen festlegen, die der Schuldner einhalten muss, um seinen Gläubiger vor dem Eintreten höherer Gewalt zu warnen.

 

2)    Die Unvorhersehbarkeit

In Fällen, die nicht als höhere Gewalt charakterisiert werden können, könnte eine Neuverhandlung oder Beendigung des Vertrags aufgrund von Unvorhersehbarkeit verlangt werden.

Der Begriff der Unvorhersehbarkeit, der in Artikel 1195 des französischen Zivilgesetzbuches definiert ist, setzt das kumulative Vorleigen von vier Bedingungen voraus:

  1. eine Änderung der Umstände,
  2. eine solche Änderung darf zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht vorhersehbar gewesen sein,
  3. eine solche Änderung muss die Ausführung des Vertrags für eine Partei unverhältnismäßig teuer machen,
  4. Das Risiko der Unvorhersehbarkeit darf nicht durch eine spezifische Vertragsklausel anerkannt worden sein.

Die Vorgehensweise bei Unvorhersehbarkeit

Bei Unvorhersehbarkeit wird wie folgt vorgegangen:

Zunächst wird die Partei, für die die Änderung der Umstände, die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht vorhersehbar war und die die Ausführung des Vertrags unverhältnismäßig teuer macht, ihre Vertragspartei auffordern, den Vertrag neu auszuhandeln.

Beide Parteien sollten versuchen, den Vertrag in gutem Glauben neu auszuhandeln. Tatsächlich sanktionieren französische Gerichte die Vertragspartei, die nicht versucht hat, den Vertrag in gutem Glauben neu auszuhandeln.

Dann, wenn eine Neuverhandlung abgelehnt wird oder scheitert:

a) können sich die Parteien über die Beendigung des Vertrags einigen oder das Gericht um eine Anpassung des Vertrags ersuchen,

b) Kommt innerhalb einer angemessenen Frist keine Einigung zustande, kann eine der Parteien das Gericht ersuchen, den Vertrag zu überarbeiten oder zu beenden.

 

Autor: Marc Olivier-Martin, Rechtsanwalt

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